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"Rassismus, rechte Sprache und Macht - das Schweigen im System"

von Shiraz Maysum (CEO & Founder FIFSI e.V.)

In der Sozialen Arbeit begegnet uns rechte Gewalt selten im klassischen Gewand: nicht immer als Skinhead mit Springerstiefeln oder durch offensichtliche Drohungen. Viel häufiger tritt sie in Gestalt alltäglicher Sprache, in Andeutungen, in Strukturen auf – eingebettet in professionelles Auftreten, hinterlegt mit institutioneller Autorität. Es ist die Sprache der feinen Unterschiede, der Codierungen und Verschiebungen, die rassistische und rechte Weltbilder reproduziert, ohne dass das Umfeld aufhorcht. Und genau das ist gefährlich.

Soziale Arbeit versteht sich als Menschenrechtsprofession. Sie ist verpflichtet, parteilich an der Seite derjenigen zu stehen, die gesellschaftlich benachteiligt werden. Doch diese Haltung bleibt oft auf der Folie von Projektanträgen oder Leitbildern stehen. In der Praxis begegnen wir nicht selten einem tief sitzenden Schweigen – einem Schweigen, das sich breitmacht, wenn rassistische Bemerkungen fallen, wenn Kolleginnen sich abwertend über Klientinnen äußern oder wenn systemische Diskriminierung nicht thematisiert werden darf, weil es „zu politisch“ sei. Es ist das eine auf eine "Demo gegen Rechts zu gehen" (sehr gut wenn man es tut), aber vielleicht etwas anderes in anderen Räumen immer schnell und klar Position zu beziehen. Rechte Sprache hat viele Gesichter. Sie spricht von „denen, die nicht hierher gehören“. Sie äußert „Sorge um unsere Werte“. Sie betont „Kulturunterschiede“, wenn sie Abwertung meint. Und sie wird in sozialen Einrichtungen nicht selten zur Normalität, wenn sie nicht benannt wird. Die Angst, in Teams anzuecken, sich unbeliebt zu machen oder als „ideologisch“ zu gelten, führt dazu, dass viele Fachkräfte schweigen – selbst dann, wenn sie eigentlich klar sehen, was geschieht.

Dieses Schweigen schützt allerdings nicht die Neutralität, sondern die Machtverhältnisse. Es stabilisiert eine Struktur, in der Sprache gezielt eingesetzt wird, um Zugehörigkeit zu definieren – und Ausgrenzung zu rechtfertigen. Wer sich rassistisch äußert, spürt oft keine Konsequenzen. Wer dagegen aufsteht, riskiert Isolation oder wird zur Störung erklärt. Genau hier liegt das Problem: Die Profession schützt nicht immer die, die Haltung zeigen, sondern oft die, die sich hinter Professionalität verstecken, während sie diskriminieren. Auch Einrichtungen selbst tragen Verantwortung. Wenn Leitungskräfte keine klare Haltung zeigen, wenn es keine Sprachregelungen oder Schutzmechanismen gibt, wenn die Sensibilisierung für Rassismus und rechte Ideologien ausbleibt, dann entsteht ein Klima der Beliebigkeit. Und in diesem Klima gedeiht rechte Sprache – gerade weil sie nicht als solche benannt wird. Es reicht eben nicht, nicht rechts zu sein. Es braucht ein aktives Gegenhalten. Und das fängt bei Sprache an.

Ein Beispiel: Wenn in einer Aktennotiz steht, eine Familie sei „auffällig migrantisch“, ist das keine neutrale Beschreibung, sondern eine Markierung, die rassistische Strukturen verstärkt. Wenn über „Integrationsunwillige“ gesprochen wird, ohne die strukturellen Hürden zu reflektieren, wird ein Narrativ bedient, das rechte Diskurse anschlussfähig macht. Und wenn Fachkräfte mit sichtbarem Migrationshintergrund in Teams ständig ihre Zugehörigkeit erklären müssen, reproduzieren wir ein System, das ihnen nie wirklich einen Platz zugesteht.

Die Soziale Arbeit hat die Pflicht – und die Möglichkeit –, Räume zu schaffen, in denen Diskriminierung nicht nur erkannt, sondern auch benannt wird. Das bedeutet nicht, jedes Gespräch in einen politischen Diskurs zu verwandeln. Es bedeutet, sensibel zu sein. Verantwortung zu übernehmen. Und solidarisch zu handeln – gerade dann, wenn es unbequem wird. Nicht jede Fachkraft ist in ihrem Privatleben von Rassismus betroffen, sollte sich aber spätestens wenn sie mit Menschen arbeitet, damit beschäfigen. Rassismus gehört bei vielen Menschen zum Alltag dazu, es beeinflusst ihre Lebenswelt. Dafür brauche ich als (nicht betroffene) Fachkraft ein Verstädnis und muss entsprechend sensibilisiert sein. Das gilt im Übrigen für alle Formen von Diskriminierung - also auch Antisemitismus, Sexismus, Ableismus oder Diskriminierung von Personen aus der LGBTQ+ Community. 

Wer Haltung zeigt, braucht neben Wissen und Sensibilität, vor allem auch Rückhalt. Träger, Kollegen und Leitungen sind gefordert, diesen Rückhalt zu geben – durch Fortbildungen, durch klare Positionierungen, durch Schutzkonzepte auch für Fachkräfte. Denn auch sie werden zur Zielscheibe rechter Gewalt – durch ihre Herkunft, aber auch ihre politische Positionierung oder ihre Arbeit mit marginalisierten Gruppen. Dieses Risiko wird in der Debatte oft ausgeblendet. Es gehört aber ins Zentrum. 

Schweigen ist keine Option. Nicht für eine Profession, die den Anspruch hat, an der Seite der Schwächeren zu stehen. Und nicht für Menschen, die in ihrer Arbeit täglich mit der Realität von Ausgrenzung, Rassismus und rechter Ideologie konfrontiert sind – manchmal subtil, manchmal direkt. Wenn wir nicht lernen, auch die leisen Formen rechter Gewalt zu erkennen und zu benennen, machen wir uns mitschuldig. Nicht aus böser Absicht, sondern aus Bequemlichkeit, Angst oder Überforderung. Doch unsere Klientinnen spüren diesen Unterschied. Und viele Kolleginnen auch.

Deshalb braucht es Mut – und Räume wie diesen, in denen gesprochen, geschrieben und gestritten werden darf. Fachlich, politisch, mit Haltung und Respekt.
 

Shiraz Maysum - Mai 2025

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